Ob für das ständige Monitoring von Patientenwerten, die Dokumentation des Behandlungsverlaufs, zur Unterstützung der täglichen Medikation eines Patienten oder für die Verwaltung von Patientenakten: Die digitalen Anwendungen haben wachsende Bedeutung im medizinischen Alltag. Das bietet für die Akteure aus allen Bereichen des Healthcare-Marktes viele neue Möglichkeiten, hält jedoch auch Herausforderungen bereit. Und die liegen vor allem in der zunehmenden Reglementierung durch den Gesetzgeber. Denn immer mehr Medizin-Apps gelten als Medizinprodukt und müssen entsprechend harte Zulassungsverfahren durchlaufen.
Eine Gesundheits-App, die einen therapeutischen oder diagnostischen Schwerpunkt setzt, gilt bereits heute als Medizinprodukt. Doch künftig fallen auch Software-Anwendungen in diese Kategorie, die lediglich Prognosen im Zusammenhang mit Healthcare abgeben. Zudem wurde die Risikoklassifizierung neu gestaltet, sodass viele Apps künftig in höhere Risikoklassen eingestuft werden. All dies ist Bestandteil der ab dem 26. Mai 2020 in Kraft tretenden EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, kurz: MDR). Darin ist zum Beispiel festgehalten, dass Software, die dem Nutzer hilft, eine Entscheidung bei der Diagnose oder Therapie zu fällen, mindestens in die Risikoklasse IIa fällt (siehe Regel 11 des MDR).
Ein Beispiel für solch eine Anwendung könnte ein digitales Schmerztagebuch sein, in dem der Patient den Verlauf seines Schmerzempfindens festhält, das einen sogenannten Schmerzscore berechnet und auf dessen Basis der Arzt Entscheidungen für die Therapie trifft. Laut Einschätzung von Dr. Andreas Purde vom TÜV SÜD würde solch eine App nach den Vorgaben der neuen EU-Medizinprodukteverordnung mindestens in die Risikoklasse IIa fallen.
Für die Hersteller medizinischer Apps bedeutet diese Entwicklung, dass sie sich künftig auf höhere Anforderungen einstellen müssen – was speziell für Start-ups eine echte Hürde durch erhöhte Aufwände darstellen kann. Doch gleichzeitig steigen die Chancen für lukrative Business-Modelle in diesem Bereich, da künftig die Aussicht besteht, dass die Krankenkassen Gesundheits-Apps in ihren Leistungskatalog aufnehmen. Dies sieht ein Entwurf des Digitale Versorgung-Gesetzes (DVG) vor, den das Bundesgesundheitsministerium im Mai dieses Jahres vorgelegt hat.
Bei allen regulatorischen Herausforderungen gibt es für die Anbieter von Gesundheits-Apps also auch gute Nachrichten. Denn laut Entwurf zum Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) aus dem Bundesministerium für Gesundheit soll besonders bei digitalen Anwendungen mit niedrigen Risikoklassen auf schnelle Zulassung gedrungen werden. Der Weg einer App der Risikoklasse I oder IIa führt laut dieser Planung dann zuerst zum Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), welches die App mit Blick auf Datenschutz, Sicherheit, Qualität sowie Nutzerfreundlichkeit bewertet. Nach Bestehen dieser Bewertung würde die App direkt für ein Jahr in die Anwendung gelangen und der Anbieter könnte die Krankenkassen dafür zur Rechnung bitten. Innerhalb dieses Jahres muss sich die Gesundheits-App bewähren – und der Anbieter den Nachweis erbringen, dass sie eine positive Auswirkung auf die Versorgung der Patienten hat. Gelingt dieser Nachweis, darf der Anbieter selbst in die Verhandlung mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen über den langfristigen Einsatz treten. Das Ziel dieser Initiative des Bundesgesundheitsministeriums ist es, innovative Gesundheits-Apps mit geringer Risikoklassifizierung möglichst schnell in die Versorgung zu bringen – zum Vorteil von Ärzten und Patienten.
Fazit: Medizin-App-Entwickler stehen vor Herausforderungen, es eröffnen sich aber auch viel Chancen.
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