Am 2. Mai 2024 hat Frank Defesche, SVP & General Manager Life Sciences von Salesforce, in einem Webinar klar gemacht, was die im April angekündigte Partnerschaft mit IQVIA in Bezug auf deren CRM OCE bedeutet, nämlich auch für OCE-Kunden die Notwendigkeit einer Migration ihres bestehenden Systems auf eine neue Software, ähnlich wie es auch die Veeva-CRM-Nutzer vor sich haben … doch der Reihe nach.
Lange Zeit war es relativ ruhig in der Pharma-CRM-Landschaft. Veeva Systems war und ist mit Abstand der Marktführer, während IQVIA mit OCE (als Nachfolger des 2015 von Cegedim im Zuge einer Akquisition erworbenen CRM-Systems „Mobile Intelligence“) immer wieder den ein oder anderen Achtungserfolg, auch bei Top-20-Accounts, erzielt. Beide Systeme nutzen die Salesforce-Software-Plattform, wobei Salesforce selbst bislang kein eigenes Pharma-spezifisches CRM-System entwickelt hat. Dies war durch eine Non-Compete-Vereinbarung mit Veeva ausgeschlossen.
Als technologische Alternative hat sich Exeevo etabliert, die Omnipresence Suite basiert auf der Microsoft-Dynamics-Plattform und das Unternehmen selbst ist aus einer Kooperation zwischen Indigene und Microsoft hervorgegangen.
Daneben gibt es noch kleinere Life-Sciences-CRM-Anbieter, die sich mit selbst entwickelter Software auf Nischenmärkte spezialisiert haben, wie zum Beispiel das in München ansässige Unternehmen ysura, das sich eher auf den Pharma-Mittelstand in der DACH- Region konzentriert oder Platforce, das mit einer Low-Cost-Strategie primär (lokale) Life- Sciences-Unternehmen in Low and Middle Income Countries mit einem attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis gewinnen will.
Alles in allem ein sehr statischer Markt mit nur geringen Marktanteilsverschiebungen und wenig Anlass für Entscheider:innen in Pharmaunternehmen, ihre CRM-Softwarestrategie grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Bis Dezember 2022.
Im Zuge der Präsentation der Zahlen für das dritte Quartal Anfang Dezember 2022 kündigte der CEO von Veeva Systems, Peter Gassner, an, den im September 2025 auslaufenden Vertrag mit Salesforce nicht erneuern zu wollen.
Stattdessen werde man das Cloud Management für das Veeva-CRM auf die eigene Plattform und Application Suite Veeva Vault migrieren. Während einer fünfjährigen Übergangsperiode könnten bis 2030 Veeva-CRM-Kunden auf der Salesforce-basierten Plattform bleiben, jedoch geht Veeva davon aus, die meisten Kunden zeitnah auf die neue Vault-Umgebung migrieren zu können. Erste große Kunden, wie zum Beispiel Bayer oder Novo Nordisk, haben diese Entscheidung mittlerweile bereits öffentlich gemacht.
Nicht nur strategische Gründe, wie technologische Flexibilität und unternehmerische Unabhängigkeit, sondern auch kommerzielle Gründe dürften dabei für die Entscheidung von Veeva eine Rolle gespielt haben. Im aktuellen Jahresbericht vom 29. Februar 2024 für das vergangene Geschäftsjahr weist Veeva Systems bei einem Umsatz von 2.364 Mrd. $ ein Betriebsergebnis von 429 Mio. $ aus, wobei die Kosten für „Subscription Services” (primär Salesforce und AWS) mit 290,5 Mio. $ angegeben sind. Zwar ist nicht ersichtlich, wie hoch genau der Salesforce-Anteil ist, allerdings ist davon auszugehen, dass er wohl größer als der AWS-Teil sein wird und insofern ein deutlich dreistelliger Millionenbetrag pro Jahr an Kostenreduzierung durch die Trennung von Salesforce realisiert werden kann. Da sich für den globalen Commercial-CRM-Marktführer Veeva die Wachstumsraten im CRM-Geschäft natürlicherweise abflachen, ist eine jährliche Ergebnisverbesserung in dieser Größenordnung (selbst wenn man nötige Investitionen in Vault gegenrechnet) eine attraktive Möglichkeit, die Bottom Line zu verbessern.
Die Entscheidung von Veeva Systems, den Vertrag mit Salesforce nicht zu verlängern, eröffnete Salesforce wiederum die Möglichkeit, nun selbst in das attraktive Pharma-CRM- Geschäft einzusteigen, denn mit Ende des Veeva-Vertrags zum September 2025 läuft auch das Wettbewerbsverbot aus.
Im Oktober 2023 war es dann so weit: Salesforce hat wie erwartet angekündigt, mit „Life Sciences Cloud“ und insbesondere „Pharma CRM“, bestehend aus „Healthcare Professional Engagement“ und „Einstein for LifeSciences“, ein Pharma-spezifisches Angebot auf den Markt zu bringen. Bei vielen Marktteilnehmern stellte sich allerdings damals schon die Frage, ob und wie es Salesforce gelingen wird, innerhalb eines Jahres ein wettbewerbsfähiges Pharma-CRM-Angebot zu entwickeln, das es mit Veeva und IQVIAs OCE aufnehmen kann.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Anfang April 2024 folgte das Announcement, dass Salesforce und IQVIA ihre Partnerschaft in Bezug auf IQVIAs Pharma-CRM OCE erweitern. Die Pressemitteilung las sich zunächst sehr kryptisch. Es war davon die Rede, dass IQVIA OCE-spezifische Software an Salesforce lizensiert und dass IQVIA OCE gleichzeitig aber weiterhin vermarktet und seine bestehenden Kunden bis 2029 supportet. So ließ diese erste Kommunikation mehr Fragen offen als sie beantwortete. Florent Edouard, damals SVP und Global Head of Commercial Excellence von Grünenthal, kommentierte dazu auf Linkedin z. B. wie folgt:
„That will be interesting to observe. Can a partnership between a company that struggles getting traction on their software and a company that struggles to understand healthcare deliver a successful software in healthcare? Time will tell.“
Die Unsicherheit auf Kundenseite hat man offensichtlich auch bei Salesforce schnell erkannt und so eröffnete Frank Defesche das eingangs erwähnte Webinar Anfang Mai 2024 mit dem Topic: „Clarity on Salesforce-IQVIA-Partnership“.
Im Detail erläuterte er: Salesforce hat den gesamten Code für OCE lizensiert und nutzt diesen dafür, bestimmte Anwendungen, die dann nicht selbst entwickelt werden müssen (z. B. Offline-Mobile-Applikation oder Multichannel-Content-Funktionalitäten), so wie sie aktuell in OCE vorliegen, in Life Sciences Cloud zu integrieren. Darüber hinaus wird Salesforce andere bestehende OCE-Features weiterentwickeln und modernisieren und insbesondere in Richtung AI und (IQVIA-)Datenintegration investieren, was auch zu grundlegenden Änderungen am Datenmodell führen wird.
Aus Sicht von Salesforce spart dieses Vorgehen zum einen Zeit, zum anderen stellt es sicher, dass die Salesforce Life Sciences Cloud alle Module und Funktionalitäten beinhaltet, die Kunden von anderen CRM-Anbietern gewohnt sind. Darüber hinaus hat Salesforce auch über 70 CRM-Produktexperten übernommen, sodass mit einem Schlag viel Life-Sciences- Domain-Expertise gewonnen werden konnte. Eine Funktionalität, die laut Frank Defesche in absehbarer Zeit wohl nicht von Salesforce entwickelt wird, ist ein Content/Digital Asset Management System. Hier setzt man auf eine Anbindung an Veeva MedComms bzw. PromoMats.
Zunächst einmal, dass beide Kundengruppen eine CRM-Migration vor sich haben: Von Veeva CRM auf Salesforce-Basis zu Veeva CRM Vault bzw. von IQVIA OCE auf Salesforce- Basis zu Salesforce Life Sciences Cloud.
Im Prinzip gibt es in beiden Szenarien natürlich auch die Möglichkeit, noch für ein paar Jahre bei den bestehenden Systemen zu bleiben, jedoch schiebt das die grundsätzliche Entscheidung nur auf. Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass es kaum Investitionen in die Salesforce-basierten Legacy-Systeme geben wird, sodass Unternehmen Gefahr laufen, im Management ihrer Vertriebsaktivitäten technologisch den Anschluss zu verlieren, gerade auch im Hinblick auf die Einbindung AI-basierter Anwendungen.
Für die meisten Kunden wird dies zu einer Systemmigration führen, während in einigen Fällen auch eine Überprüfung der CRM-Anbieterstrategie angestoßen werden könnte.
Salesforce setzt dabei in der Positionierung auf die Message: „Transitioning from one app on Salesforce to another app on Salesforce”
… und hebt insbesondere das neue Datenmodell, die User Experience und das Thema „Innovation vs Disruption“ hervor. Die Frage wird sein, ob es Salesforce angesichts der im Vergleich zu Veeva deutlich geringeren Life-Sciences-Domain-Expertise gelingt, diesen ambitionierten Ansatz kundengerecht umzusetzen. Auch vor dem Hintergrund, dass „Pharma CRM“ bei Salesforce (mit einem Gesamtumsatz von knapp 35 Mrd. $ im abgelaufenen Geschäftsjahr) anteilig immer nur eine untergeordnete Rolle spielen wird.
Veeva dagegen ist zu 100 % auf Life Sciences fokussiert und hat sowohl die Kundenbeziehungen als auch das globale, regionale und lokale Marktwissen, um auch zukünftig wettbewerbsfähige und bedürfnisgerechte Lösungen zu entwickeln. Darüber hinaus hat die Kombination unterschiedlicher Anwendungen in Commercial, Medical, Clinical, Safety, Regulatory, Quality und Data auf der Basis einer einheitlichen technologischen Plattform einen nicht zu unterschätzenden Vorteil.
Ja, Salesforce positioniert Life Sciences Cloud als „Open Ecosystem”, das mit AppExchange Connectors alle möglichen Business Services und Data- und AI-Anbieter anbinden kann. Aber wie so oft liegt der Teufel im Detail und erst im echten Betrieb wird sich zeigen, wie gut das tatsächlich funktioniert.
Zur Zeit ist die Branche, insbesondere auf Seiten der OCE-Kunden, in Warteposition und beobachtet sehr genau, wie sich die Situation weiterentwickelt. Erst wenn die Salesforce Life Sciences Cloud etwas mehr Gestalt annimmt, werden Kunden weitreichende strategische Entscheidungen treffen in Richtung Migration oder Neuausschreibung ihres CRM.
Die grundsätzliche Frage, die sich dabei stellt, ist allerdings, ob ein monolithisches, „one size fits all“-CRM überhaupt noch die immer komplexeren und individuelleren Geschäftsmodelle von Life-Sciences-Unternehmen sinnvoll abbilden und unterstützen kann. Das traditionelle, lineare Modell eines primär auf den Außendienst fokussierten Vertriebs ist jedenfalls in Auflösung begriffen.
AI- und Data-Science-basierte Ansätze gewinnen dagegen im Rahmen von immer ausgeklügelteren Omnichannel-Strategien rapide an Bedeutung. Der Aufbau entsprechender Kompetenzen und Abteilungen – nicht nur mit Fokus auf R+D, sondern zunehmend auch in Commercial – zeigt, wo die Reise hingeht.
Bereits heute sitzen Pharmaunternehmen auf einem schier unermesslichen Schatz an Informationen (interne sowie öffentlich verfügbare, externe), z. B. über HCPs und HCOs. Die limitierenden Faktoren für deren umfängliche Nutzung waren bislang immer fehlende Standardisierung/Skalierbarkeit und friktionsfreier Zugang („Data Silos“) sowie unzureichende technische Möglichkeiten, um aus Daten mit vertretbarem Aufwand auch umsetzbare Strategien und Handlungsempfehlungen ableiten zu können. Mit der exponentiellen Entwicklung von AI werden diese Hürden rasch niedriger.
Früher waren CRM-Systeme die „Core-Technologie“ für Vertriebsplanung und -management und oft wurden Vertriebsprozesse um deren Limitationen herum gebaut und angepasst, während Daten als „Commodity“ betrachtet wurden.
Möglicherweise ist der Zeitpunkt nicht mehr weit, wo sich das Verhältnis zwischen (CRM-) Systemen und Daten umkehrt. Daten („Data Lakes“ mit Informationen über HCPs, HCOs, andere Stakeholder usw.) werden zum zentralen Commercial Strategie- und Werttreiber in Life-Sciences-Unternehmen und (CRM-)Systeme zur Commodity.
Je nach lokalem Marktzugangs- bzw. Vertriebsmodell würden die Unternehmen dann unterschiedlichste „best in breed“-Systeme an die jeweiligen Data Lakes andocken, ohne sich regional/global für alle Märkte und Brands auf einen einzigen CRM-Anbieter festzulegen.
Eine solche Entwicklung würde sowohl das Geschäftsmodell von Veeva als auch von Salesforce nachhaltig beeinflussen … time will tell.