Wenn man auf die vergangenen drei Jahre schaut, so kann man mühelos erkennen, dass sich Gesundheit als oberstes Mainstream-Thema in unserer Gesellschaft und global festgesetzt hat:
Menschen haben gelernt, medizinische Daten auf Tagesbasis zu konsumieren wie sonst eigentlich nur den Wetterbericht. Sie haben sich Health-Apps auf ihre Smartphones geladen und Gesundheits-Podcasts binge gehört. Wissenschaftler*innen wurden zu Talkshow-Stars und mittelständische Impfstoffhersteller realisierten Umsatzrendite, wie man sie sonst nur aus der Formel 1 kennt. Auch wenn die Pandemie eine besondere Phase war: Das „New Normal“, der Stellenwert von Gesundheit in unserem Alltag, wird bleiben. Und macht ein Umdenken im Healthcare-Marketing erforderlich.
Denn anders als in großen Consumer-Bereichen wie im Automobilmarkt oder in der Telekommunikation haben bislang die meisten Akteure der Gesundheitsbranche das Thema Marke weitgehend vernachlässigt: So taucht in der aktuellen Interbrand-Liste der 100 wertvollsten Marken* kein einziger Healthcare-Vertreter auf. Erstaunlich, wenn man dem die Liste der Unternehmen mit der größten Marktkapitalisierung entgegenhält, auf der sich einige gewichtige Gesundheitsplayer tummeln. Geht es also auch ohne Marke?
Mitnichten. Die Covid-Pandemie zeigt alle Dynamiken auf, die es zwingend notwendig machen, dass sich Healthcare-Professionals in allen Bereichen zukünftig stärker um ihre Marke und um Kommunikation kümmern.
Zum einen ist da die Digitalisierung, die einen Markt, der aufgrund von Regulierung und komplexen Strukturen lange Zeit in diesem Bereich unterentwickelt war, grundlegend verschiebt und neu ordnet. Die Pandemie öffnete hier zusätzliche Schleusen. Die Treiber liegen auf der Hand: Es ist das Zusammenspiel von Daten, von Technologien und von Devices, die eine unmittelbare Verbindung und Beziehung zu Patient*innen, Ärzt*innen, Apotheker*innen oder auch zum Außendienst ermöglichen. Gesundheit technologisiert sich nun in Quantensprüngen und holt Vergangenes auf. Was dabei entsteht? Die kontinuierliche Möglichkeit, ja die Pflicht zur Interaktion, zum Erlebnis, zum Austausch. Die Frage ist nun, wie man diese Kontaktpunkte, diese Markenerlebnisse gestaltet und mit wiedererkennbaren und klar unterscheidbaren Eigenschaften prägt. Hier sind Marketeers gefragt, die sich um die Distinktion ihrer Marke Gedanken machen und damit essenziell einen Wertbeitrag für ihr Unternehmen liefern müssen.
Neben der Digitalisierung und den damit verbundenen Interaktionsmöglichkeiten gibt es aber auch eine weitere, nicht weniger wichtige Dimension der Veränderung: Und das ist der gesellschaftliche Auftrag, dem die Branche auch verpflichtet ist. So gesellt sich neben eine neue Marken-Möglichkeit auch eine neue Marken-Pflicht. Denn Gesundheit war schon immer ein komplexes Feld. Doch mit dem exponentiellen Wachstum des Wissens, den Erfolgen in der Forschung und einem immer fragileren öffentlichen Gesundheitssystem ist es unerlässlich, Gesundheit zu erklären und auch über Kommunikation zugänglich zu machen. Die richtige Therapie zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle wird immer schwieriger und zugleich immer wichtiger. Auch dafür braucht es klare Markenarbeit: um Orientierung zu geben und Wissen zu ermöglichen.
Die Frage ist nun, wie sich Markenführung im Healthcare-Markt von anderen Branchen unterscheidet. Wie kann in einem stark regulierten Markt mit schwierigen Produktthemen, der zudem durch viele Stakeholder und Einflussnehmer hochkomplex und schwierig zu begleiten ist, das Kunststück gelingen, trotzdem Markenrelevanz zu erzeugen? Es sind drei Spannungsfelder, die Healthcare-Branding spezifisch machen und das Handlungsfeld definieren:
Erstens: Empathie und Dominanz
Starke Marken wachsen aus sich selbst. Sie leben von innerer Überzeugung, einem starken Purpose, der gerade im Gesundheitssektor ein wichtiger Treiber ist. Überzeugende Marken imponieren genau durch ihre Kraft und wissen so Menschen einen belastbaren Orientierungspunkt zu bieten. Gleichwohl sind moderne Marken auch immer Teil einer Community. Sie antizipieren Zielgruppenwünsche und -bedürfnisse, sie agieren in gesellschaftlichen Resonanzräumen und erzeugen Dynamik aus einem Dialog. Gerade dann, wenn es um das persönlichste aller Themen geht – Gesundheit. Hier ist Empathie ein entscheidender Faktor und sollte Markenführung kanalisieren. Die Frage, die man sich also stellen muss, ist, wie man die Strahlkraft einer klar definierten Marke so prägt, dass sie immer noch als vertrauenswürdiges, ja menschliches Profil wahrgenommen wird und dabei gleichzeitig das Gegenüber mit seinen Bedürfnissen, Sorgen und Erwartungen antizipiert. Und so braucht es eine doppelte Empathie – eine, die die Marke im Blick hat und in ihrem Sinne agiert. Und eine, die an die Zielgruppe denkt.
Zweitens: Verführung und Begründung
Marke löst Handlung durch Emotionen aus. Sie begeistert, berührt, ja verführt. Das ist das Schöne an ihr. Das darf und das soll sie. Deshalb lieben Menschen Marken. Doch wie kann sich diese emotionale Kraft entfalten, wenn sie neben oder mit einer langen medizinischen Einordnung stattfinden muss? Oder mehr noch: Darf diese verführerische Komponente überhaupt stattfinden, wenn sie mit Krankheit in Verbindung steht? Geht es dabei nicht einfach nur um Fakten, Fakten, Fakten?
Die Spannung lässt sich nur auflösen, wenn man die Emotion und kreative Wirkkraft einer Marke als Instrument in einem komplexen Kommunikationsraum versteht. Denn gerade weil Healthcare strukturell und thematisch so vielschichtig und schwer zu greifen ist, hilft Marke, Entscheidungen herbeizuführen und Kontext zu geben. Nicht zuletzt die Entwicklungen des B2B-Markts zeigen, dass das alte Verständnis, wonach Fachzielgruppen keine Markenaffinität entwickeln können, nicht mehr trägt. Ärzt*innen, Apotheker*innen oder Journalist*innen „sind auch Menschen“ und benötigen zur schnellen Einordnung und Wertung die Klarheit und Prägnanz, die nur Marke bietet.
Drittens: Zugespitzt und ausgeweitet
Für diese Klarheit und Prägnanz muss Marke allerdings zuspitzen und pointieren. Das ist das Zeichen guter Kommunikation. Gerade in der Umsetzung, wenn eine Kampagne das Gesagte transportieren soll, merkt man schnell, wie schwierig es ist, „holzschnittartig“ und kurz einen inhaltlichen Kern zu transportieren. Gute Marken schaffen und trauen sich das. Aber anders als bei einem Turnschuh ist beim Healthcare-Marketing das Thema noch mal deutlich schwieriger, weil schlichtweg inhaltlich tiefer. Umso wichtiger sind gute Fachleute in Marketing-Abteilungen und Agenturen, die in der Lage sind, des Pudels Kern wirklich zu ergründen und herauszuarbeiten. Die Erkenntnisse in Ideen verwandeln, damit die Weite des Produkts unter einem klaren Dach zusammenfassen können und somit wirkmächtige Marketing-Instrumente erzeugen.
Wer hier Neues wagt, kann viel gewinnen. Es ist gewiss nicht einfacher als in vielen anderen Bereichen. Aber es ist das Gebot der Stunde. Und lohnenswert in jedem Fall.
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Autor: Johannes Buzási
Quelle: 01/2023 Healthcare Marketing